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Die Stärken und Chancen der Klientenzentrierten Mediation

Christoph Hatlapa und Katharina Sander

Übersicht

  • Die Klientenzentrierten Mediation
  • Fallbeispiel
  • Der traditionelle Weg
  • Ergebnisse der juristischen Konfliktlösung
  • Der Mediationsweg
  • Wendepunkt
  • Ergebnisse der Mediation

 

Die Klientenzentrierte Mediation wurzelt in der Philosophie und Praxis der Humanistischen Psychologie. Sie ist zum einen geprägt von der klientenzentrierten Gesprächstherapie, die Carl Rogers entwickelt hat, zum anderen von deren Weiterentwicklung zum Ansatz der "gewaltfreie Kommunikation" , die auf Marshall Rosenberg zurückgeht. Die Klientenzentrierte Mediation folgt im Konflikt vor allem den Gefühlen und Bedürfnissen der Streitenden. Sie kann dadurch kreative Wege der Konfliktlösung beschreiten, die bei einer anspruchs- oder rechtsgebietsorientierten Vorgehensweise nicht erreicht werden. Anhand eines Fallbeispiels zeigen wir den typischen Verlauf einer Klientenzentrierten Mediation aus unserer Praxis. Der faszinierende Ansatz ist universell anwendbar, jedenfalls dann, wenn es gelingt, mit Gefühlen und Bedürfnissen der im Konflikt beteiligten Personen kompetent umzugehen. Der Artikel gibt im Wesentlichen den Inhalt des gleichnamigen Vortrags der Autorin und des Autors im Rahmen der Tagung "Mediation - vermitteln - verhandeln - schlichten" an der Evangelischen Akademie Loccum vom 14.-16. Januar 1998 wieder.

 

"Auf unserem magischen kleinen Planeten, auf dem die Atmosphäre nicht mehr von WissenschaftlerInnen, PolitikerInnen, PriesterInnen und Medizinmännern kontrollierbar ist, wird die Lage der Welt zu einer Aufgabe für alle: wir können es uns nicht leisten, sie anderen zu überlassen." (Arnold Mindell)

 

Es gehört zu den historischen Errungenschaften der Zivilisation, daß wir bei Streitigkeiten nicht mehr selbst zur Gewalt oder zu den Waffen greifen oder greifen lassen. Es hat eines jahrhundertelangen Domestizierungsprozesses bedurft, um uns das Gewaltmonopol des Staates als selbstverständlich erscheinen zu lassen und uns darauf einzulassen, Streitigkeiten vor den Schranken des Gerichts in streng formalisierten Verfahren auszutragen und die Vertretung unserer Interessen an Vertreter, heute Rechtsanwälte und Gerichte, zu delegieren.

 

Das Delegationsprinzip schützt die Streitenden gewissermaßen vor sich selbst und ihren "destruktiven" Emotionen. Es verlagert zugleich die Aufmerksamkeit von den als gefährlich eingeschätzten Gefühlen der Streitenden weg auf die "Sachprobleme". Das Faustrecht mit seinen unberechenbaren Konsequenzen wurde durch Recht und Gesetz ersetzt, die im Idealfall für alle Rechtsunterworfenen bereits im Voraus erkennen lassen, mit welchen Konsequenzen sie bei ihrem Handeln zu rechnen haben und sich somit darauf einrichten können. Die Delegation bietet allerdings keine Gewähr dafür, daß der Konflikt der Streitenden aus dem Kontext der allseitigen Abwertung herauskommt. Darin liegt eine Begrenzung, die viele moderne Menschen nicht mehr bereit sind, im Streitfall hinzunehmen.

 

Die Mediation ist jetzt als ein das Rechtssystem ergänzender alter Weg zu neuen Ehren gekommen und bildet das jüngste Glied in der sich weiterentwickelnden Konfliktkultur. Mediation ist eine Methode, um einen Konflikt in einen Kontext der Aufwertung zu überführen und ihn damit zum Motor für synergetische Lösungen zu machen. Die Dynamik der weltweiten Veränderungsprozesse, die Komplexität der Beziehungs- und Arbeitswelt, die Ausdifferenzierung der Individuen, die zugleich Mitglieder einer immer vernetzteren Weltgesellschaft sind, sind Rahmenbedingungen, die diese Entwicklung fördern.

 

Mediation hat auch deshalb immer mehr Bedeutung, weil wir uns im Übergang von einer Weltaußenpolitik zu einer Weltinnenpolitik befinden. Da läßt sich das Konfliktpotential immer weniger auf ein "Außen" projizieren. Konflikte werden immer deutlicher zur gemeinsamen Angelegenheit aller Beteiligten. Deshalb scheiden Methoden der gegenseitigen Überwältigung zunehmend aus. Wir gehen davon aus, daß die Einführung der Mediation die Streitkultur in Deutschland revolutionieren wird. Die Delegation von Konflikten wird zunehmend ergänzt werden durch eigenverantwortliche Konfliktgestaltung. Die Streitparteien werden kreativen Gebrauch von der Vertragsfreiheit machen. Sie werden immer fähiger werden, im Konflikt zu kooperieren. Aufwertung (Empowerment) wird sich im Vergleich mit abwertenden Strategien als die intelligentere und zufriedenstellendere Form der Konfliktbearbeitung erweisen. Schon heute werden über 50% aller Rechtsstreitigkeiten in den USA durch konsensorientierte Verfahren beigelegt. Mit einer ähnlichen Entwicklung ist in Deutschland und Europa zu rechnen.

 

Beteiligte eines Konflikts versuchen erst einmal selbst eine Lösung zu finden. Erst wenn sie damit gescheitert sind, denken sie daran, Dritteeinzuschalten. In diesem Moment befinden sie sich subjektiv in einem Meer von unlösbaren Problemen und starken Gefühlen. Hier bieten sich jetzt zwei Wege an: der traditionelle Weg über einen parteilichen Rechtsanwalt führt den Konflikt in ein streitiges Verfahren. Oder aber die Parteien suchen eine gemeinsame Lösung durch Mediation.

 

 

Die Klientenzentrierte Mediation

 

In diesem Bericht wollen wir zeigen, worin die Stärken und Besonderheiten des personen- oder klientenzentrierten Ansatzes der Mediation liegen. Hierzu vergleichen wir das Vorgehen und die Ergebnisse eines Falls aus unserer Mediationspraxis mit dem mutmaßlichen Verlauf des selben Falls im streitigen Verfahren. Den Fall haben wir ausgewählt, weil die Konfliktparteien zunächst den traditionellen Weg gegangen sind und einen Rechtsanwalt um Hilfe gebeten haben.

Die Klientenzientrierte Mediation stellt den Gegenpol zur anwaltlichen Bearbeitung eines Konflikts dar. Während ein Rechtsanwalt im Konflikt einem Vorgehen folgt, das sich am Vorhandensein rechtlicher Anspruchsgrundlagen orientiert, folgt die Klientenzentrierte Mediation den Bedürfnissen der Parteien und zielt damit darauf ab, wie die Parteien eines Streits wechselseitig dazu beitragen können, ihr "Leben schöner zu machen". Zwischen diesen Extremen stehen Formen der Mediation, die zufriedenstellende Lösungen für die Parteien "im Schatten des Rechts" suchen. Die Lösung wird im Abgleich individueller Handlungsspielräume mit dem Repertoire rechtlicher Regelfälle gesucht und gefunden. Die Nähe zu bestimmten Rechtsgebieten, den dort geregelten Ansprüchen und vorgeschriebenen Verfahren prägen dann das Vorgehen z. B. in der "Familien-" und "Umweltmediation". Die klientenzentrierte Mediation ist vom Ansatz her von der Anlehnung an und dem Abgleich mit Rechtsansprüchen unabhängig und gerade deshalb geeignet bei Streitigkeiten aus allen Lebensbereichen zu unterstützen. Das liegt daran, daß sie die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt des Vorgehens rückt. Die menschlichen Bedürfnisse sind universell; folglich kann ein Mensch die Bedürfnisse eines anderen unmittelbar verstehen und dieses Verständnis stimuliert natürlich Kooperation. Im Streit liegen bei allen Beteiligten vor allem wichtige Bedürfnisse im Mangel. Dieser Mangel äußert sich in starken Gefühlen. Die wichtigste Kompetenz der MediatorIn, des Mediators in der klientenzentrierten Mediation ist die Fähigkeit auf die starken Gefühle und die dahinterliegenden Bedürfnisse einzugehen.

Während die rechtsgebietsorientierte Mediation die Kompetenz im Umgang mit dem Recht betont, steht beim personenzentrierten Ansatz die Fähigkeit mit der subjektiven Sichtweise der Parteien, ihren Gefühlen, Bedürfnissen, und Wünschen umzugehen im Vordergrund. Klientenzentrierte Mediation zielt auf den "von Herzen" getragenen Konsens ab, nicht auf Lösungsmöglichkeiten angesichts einer bestimmten Rechtslage. Sie ist nicht im rechtlichen sondern im psychologischen Sinne prozeßorientiert.

 

 

Wesentliche Merkmale der klientenzentrierten Mediation sind:

  • Die Gefühle, Bedürfnisse und Ziele der KlientInnen stehen im Zentrum der Mediation
  • KlientInnen wenden sich an MediatorInnen, damit sie ihnen helfen, ihre Ziele zu erreichen und nicht um ihre gesetzlichen Ansprüche durchzusetzen
  • KlientInnen sind die ExpertInnen für ihre eigene Sache
  • KlientInnen nehmen freiwillig an der Mediation teil
  • KlientInnen entscheiden über Inhalte der Mediation
  • Auch KlientInnen gegensätzlichster Auffassungen und unterschiedlichster kultureller Herkunft sind durch universelle Bedürfnisse verbunden und konsensfähig
  • Die Fairnesskriterien der KlientInnen und ihre Kreati vität bestimmen die Ergebnisse
  • Der Fokus liegt bei den gegenwärtigen und zukünfti gen Möglichkeiten und nicht bei Fehlern der Vergan genheit
  • Bedingungsloser Respekt für die KlientInnen im Sinne von Carl Rogers bestimmen das Vorgehen.

 

Fallbeispiel

 

Dies vorausgesetzt wenden wir uns nun dem Fallbeispiel zu. Das Beispiel zeigt die besonderen Stärken einer personenzentrierten Mediation auf drei Ebenen nämlich auf der Sachebene, der Beziehungsebene und auf der energetischen Ebene. Die Stärken sind:

  • auf der Sachebene: die Möglichkeit der kreativen Gestaltung,
  • auf der Beziehungsebene: Heilung bzw. Entwicklung der Beziehung zwischen den Streitenden
  • auf der energetischen Ebene: die persönliche Macht der Beteiligten zur gegenseitigen Zufriedenheit beizutragen

 

Der Sachverhalt

 

Anna ist freie Dozentin und Leiterin einer Fachberatungsausbildung. Sie muß ihre Kurse bei einem Tagungshaus für ein Jahr im voraus verbindlich buchen, um die gewünschten Räume zur Verfügung zu haben. Nach Abschluß ihrer Veranstaltungsverträge mit dem Tagungshaus für 3 jeweils neuntägige Kurse wird Anna schwanger. Der erste Kurs fällt beinahe mit dem errechneten Geburtstermin im Mai des Kursjahres zusammen, zwei weitere Kurse im August und Oktober liegen noch in der angenommenen Stillzeit. Anna beauftragt daher die ihr als zuverlässig bekannte Dozentin Beate, in ihrem Auftrag die drei Kurse für sie durchzuführen. Alle drei Kurse sind bereits belegt, was auf die aktive Tätigkeit von Anna in einem Interessentenverein und ihre Werbung in einer themenbezogenen Informationsschrift zurückzuführen ist. Beate erklärt sich zur Durchführung der Kurse für Anna bereit. Es wird ein Honorar von jeweils 4.500 DM pro Kurseinheit vereinbart. Anna stellt Beate ihr Curriculum und das gesamt Kursmaterial für die Durchführung zur Verfügung. Dazu gehört auch ein detaillierter Fortbildungsplan.

Im Mai bei Kursbeginn hat Anna bereits entbunden. Sie kann die Kursteilnehmerinnen selbst begrüßen und hat Gelegenheit zu einer Einführung. Beate übernimmt sodann die weitere Durchführung des Kurses. Eine von 19 Teilnehmerinnen verläßt am 3. Tag unter Protest den Kurs und verlangt von Anna Rückzahlung von Seminar- und Unterkunftskosten, weil sie mit der Durchführung des Kurses unzufrieden ist. Die übrigen Teilnehmerinnen sind mit der Ersatzdozentin und dem Lehrangebot einverstanden. An einem der Abende gibt Beate gemeinsam mit ihrem Lebenspartner Charly, ebenfalls Dozent, eine Einführung in ein bestimmtes Lehrgebiet, das nur im weitesten Sinne zum Kursthema gehört. Außerdem legt sie Werbematerial für ihr gerade mit Charly gemeinsam gegründetes Ausbildungs- und Beratungszentrum aus, in dem sie im Zuge einer umfassenden Kompaktausbildung auch Ausbildungsabschnitte über das Fachberatungsgebiet von Anna anbietet.

Eine Woche nach Abschluß des ersten Kursabschnittes kündigt Anna das Lehrauftragsverhältnis fristlos. Als Kündigungsgrund gibt sie an, Beate habe ihr Vertrauen mißbraucht und sei den in sie gesetzten Erwartungen, wie die Abreise einer Teilnehmerin gezeigt habe, nicht gerecht geworden.

Beate verlangt Einhaltung des Arbeitsvertrages. Sie bietet die Durchführung der beiden ausstehenden Fortbildungen weiterhin an und beansprucht das zugesagte Honorar. Beide Parteien wenden sich ratsuchend an Rechtsanwälte. Schließlich machen sie einen Mediationsversuch.

 

Der traditionelle Weg

 

Beate wandte sich als erste an einen Rechtsanwalt. Dieser nahm ihren empörten Bericht entgegen und forschte unter Hinweis auf die begrenzte Zeit zunächst nach den "erheblichen" Tatsachen. Er wollte wissen, wann es zur Abmachung zwischen Anna und Beate wegen der Kurse gekommen war, ob es darüber schriftliche Aufzeichnungen gäbe, Zugangsdatum und Wortlaut des Kündigungsschreibens, Höhe des Arbeitsentgelts etc.

All diese Angaben dienen dazu, die für ihn wichtigste Frage zu beantworten: Welche Ansprüche hat Beate gegen Anna?

Die Prüfung führte zu folgendem Ergebnis: Zwischen Anna und Beate ist ein befristeter Arbeitsvertrag (§611 BGB) zustande gekommen, da Beate bestimmte Dienste, Übernahme der Lehrverpflichtung, und Anna ihr als Gegenleistung eine entsprechende Vergütung, nämlich 4.500 DM pro Kursabschnitt, versprochen hat. Bisher wurde ein Kursabschnitt durchgeführt und 4.500 DM gezahlt.

Ist Beates Anspruch auf 9.000,-- DM Resthonorar entfallen? Anna weigert sich, Beate weiterzubeschäftigen und zu bezahlen und hat Anna schriftlich fristlos gekündigt Wenn die Kündigung den Anforderungen von § 626 BGB entspricht ist der Anspruch untergegangen. Das prüft Beates Anwalt als nächstes. Das "Kündigungsschreiben von Anna ist innerhalb einer Woche, also fristgemäß, § 626 Abs. 2 BGB, zugegangen. Fraglich bleibt, ob Anna wirklich einen wichtigen Grund zur Kündigung hat, aufgrund dessen für sie die weitere Vertragsdurchführung unzumutbar ist. Immerhin hat eine Kursteilnehmerin den Kurs verlassen und Beates Lebensgefährte ohne Absprache mit Anna einen eigenen Beitrag eingebracht und seine Werbung ausgelegt. Allerdings, Anna hat nicht abgemahnt. Ob die Kündigung durchgreift, bleibt eine letztlich vom Gericht zu klärende Tatfrage. Schließlich fragt Beates Anwalt noch nach der Rechtsschutzversicherung. Beate ist nicht rechtsschutzversichert.

 

Kosten mit denen die Parteien rechnen müssen, wenn sie den Rechtsweg einschlagen
Streitwert: 9.000 DM
  1. Anwaltskosten bis zum Abschluß der ersten Instanz:

    für A: 3 x 540 DM +Ausl. + MWSt.= 1.909 DM

    für B: (2. Anwalt) 1.909 DM zusammen: 3.818 DM

    (Vor dem Arbeitsgericht trägt jede Partei die Kosten - der ersten Instanz - selbst.)
  2. Anwaltskosten in der 2. Instanz:

    für A: 3 x 702 DM + Ausl. + MWSt= 2.467 DM

    für B: (2. Anwalt) 2.467 DM

    zusammen: 4.935 DM
    (Vor der 2. Instanz (Landesarbeitsgericht)
    anfallende Kosten trägt die jeweilige Verliererin)
  3. Gesamtanwaltskosten 1.+2.Instanz: 8.753 DM
  4. Kosten bei einem Vergleichsschluß in der 1. Instanz:
    für A und B wie bei 1., außerdem
    A zahlt B: 4.500 DM B verzichtet auf 4.500 DM
  5. Kostenverteilung in 2. Instanz, falls A gewinnt:
    für A: 1.900 DM für B: 1.909 DM + 4.935 DM = 6.844,- DM
  6. Zum Vergleich: Gesamkosten Mediation 600,- DM




Beates Anwalt empfiehlt:
Beate soll Anna ihre Dienste weiterhin schriftlich anbieten, um sie in Gläubigerverzug zu setzen (Annahmeverzug), § 324, Abs. 2 BGB. Falls Beate dann nicht zahlt, wird Klage auf entgangenes Honorar beim zuständigen Arbeitsgericht erhoben. Die Klage hat gute Erfolgsaussichten. Mindestens ein Vergleich auf die Hälfte des ausstehenden Honorars in der Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht liegt drin.

Welche Kosten schlimmstenfalls auf sie zukommen könnten möchte Beate noch wissen. Der Anwalt liest ihr aus einer Tabelle vor:

Kosten eines Rechtsstreits
Streitwert 9.000 DM
Kosten bis zum Abschluß der 1. Instanz: 3.818,00 DM
Kosten bis zum Abschluß der 2. Instanz: 4.935,80 DM

 

Vor dem Arbeitsgericht trägt jede Partei die Kosten (1. Instanz) selbst, so daß Beate die Kosten seiner Beauftragung in jedem Fall zu tragen hat. Anders sei dies erst vor dem Landesarbeitsgericht. Die dort anfallenden Kosten trägt die jeweilige Verliererin.

Beate handelt:
Beate bietet per Einschreiben ihre Dienste weiterhin an und verlangt Zahlung von 9.000,-- DM auch für den Fall, daß sie nicht weiterbeschäftigt werden sollte. Außerdem setzt sie Anna davon in Kenntnis, daß ihr Anwalt ihr Klageerhebung beim Arbeitsgericht empfohlen hat.

Annas Antwort:
Auch Anna wendet sich nun an "ihren" Anwalt und schildert ihm den Sachverhalt aus ihrer Sicht. Annas Anwalt prüft ebenfalls die Anspruchslage und vor allem, ob die eingewendete fristlose Kündigung den Honoraranspruch vernichtet hat.

Sein Ergebnis:
Die fristlose Kündigung steht bisher auf wackligen Beinen. Anna soll unter den Kursteilnehmern nach Unregelmäßigkeiten forschen, vor allem bei der abgesprungenen Teilnehmerin und klären, ob diese als Zeugin zur Verfügung steht. Auch das Auftreten Charlys, welches nicht vereinbart war, könnte, bei entsprechenden Zeugenaussagen das Gericht von der Unzumutbarkeit weiterer Zusammenarbeit überzeugen.

Annas Rechtsanwalt empfiehlt:
Sich um die Zeugen kümmern, nicht zahlen, es auf einen Prozeß ankommenlassen, eventuell Vergleich schließen.
In der Realität haben die Parteien dieses Rechtsstreits sich an dieser Stelle zu einem Mediationsversuch entschlossen. Wie wäre es ohne Mediation weitergegangen? Erfahrungsgemäß so:

Mutmaßlicher Fortgang:
Beate erhebt durch ihren Anwalt Klage vor dem zuständigen Arbeitsgericht, Anna läßt durch ihren Anwalt Klagabweisung beantragen. Es kommt zunächst zu einem Gütetermin, 15 Min Dauer, in dem die Anträge gestellt und die Sach- und Rechtslage mit den anwesenden Parteien erörtert wird. Vorschlag des Gerichts: in Anbetracht der Beweislage verzichtet die Klägerin auf 4.500 DM Honorar, die Beklagte zahlt 4.500 DM.

Oder: eine Partei besteht weiterhin auf gerichtlicher Klärung, z. B. Anna, weil sie bereits 1.000,-- DM an eine Lehrgangsteilnehmerin erstattet hat, und sie sich von deren Aussage im Prozeß als Zeugin Einiges verspricht. Es kommt zur Beweisaufnahme und Zeugenbefragung. Oder: der Rechtsstreit geht in die nächste Instanz und wird dort nach erneuter Beweiserhebung rechtskräftig entschieden, weil eine Partei das erstinstanzliche Urteil nicht akzeptiert. Es entstehen je nach Beendigungsinstanz zusätzliche Kosten



Ergebnisse der juristischen Konfliktlösung:

Sachliche Ebene:
  • Lösung mittels Delegation u. Einsatz hoheitlicher Macht im Sieg/Niederlage-Kontext
  • Sieg (z.B. Titel über 9000 DM) und Überwältigung je einer Partei oder Vergleich, z.B. Zahlung von 4.500 DM an B., (d.h. beide Seiten gewinnen und verlieren)
  • zusätzliche Rechtsverfolgungskosten von ca. 4000,- bis 8.753 DM zuzügl. Zeugengelder + Aufwendungen der Parteien
  • entspricht rechtsstaatlichen Anforderungen
  • bürokratisches und umständliches Verfahren
Emotionale Ebene:
  • keine Lösung der emotionalen Seite daher
  • wechselseitige Unzufriedenheit und
  • Beendigung der persönlichen Beziehung zwischen den nunmehr auch menschlichen Gegnerinnen
  • Bestätigung des Täter/Opfer-Bewußtseins
  • gegenseitige Abwertung
Energetische Ebene:
  • die Bearbeitung des Konflikts wird hinausgezögert
  • der "Lösungsprozeß" ist nervenaufreibend, schleppend
  • es entsteht Resignation in Bezug auf eigene Interessen und Bedürfnisse bei mindestens einer Partei

 

Der Mediationsweg

 

Die Streitenden leben im Bann ihrer destruktiven Gefühle. Der Konflikt stagniert in einem Kontext wechselseitiger Abwertung. Feindbilder und Stereotypien entstehen, an der Stelle von kreativer Reflexion über die eigenen Interessen und die mögliche Unterstützung tritt das Einnehmen von Positionen und die Vorstellung, daß das Heil im Entgegenkommen oder in einer Verhaltensänderung des "Gegners" liegt. Aus diesem Kontext betrachtet, ist die Mediation eine Zumutung: sie arbeitet mit Wertschätzung des Konflikts, der Gegenpartei und der "destruktiven" Emotionen. Diese Werkszeuge machen die Mediation zu einer Methode der paradoxen Intervention im Konflikt. Aufwertung und Bestärkung, statt Abwertung und Rechthabenwollen. Daß es im vorliegenden Fall noch zu einer Mediation kam, war dem glücklichen Umstand zu danken, daß eine der Beteiligten den Segen der Mediation schon aus eigener Anschauung kannte.

 

Verlauf der Mediation

 

Da Anna schon an einer Mediation teilgenommen hatte, schlug sie Beate vor, gemeinsam einen Mediationsversuch zu machen. Mit Rücksicht auf Beates weiten Weg, und weil sie für ihren Sohn einen Betreuer engagiert hatte, wurden mehrere Mediationssitzungen am selben Tag vorgesehen. Insgesamt dauerte die Mediation bis zum Abschluß der Vereinbarung 5 Stunden, unterbrochen von zwei längeren Pausen.

Zunächst waren beide Parteien aufgeregt und hatten Angst. Ihre Sachverhaltssicht hatte sich zu Positionen, die den Instruktionen ihrer Anwälte entsprachen verfestigt. Vor allem Beate bestand auf dem Zahlungsanspruch und war lediglich bereit über geringe Abschläge davon zu verhandeln.

Anna sah für weitere Zahlungen keinen Raum, sie hatte nach ihrer Auffassung schon genügend Ärger mit der abgesprungenen Teilnehmerin gehabt. Die an diese gezahlte Summe wäre sie im Wege des Entgegenkommens bereit allein zu tragen. Allerdings nur wenn Beate im Gegenzug auf alle weiteren Ansprüche verzichtete. Beide Frauen wirkten äußerst verhärtet und hielten sich mit Mühe an die vereinbarten Gesprächsregeln. Fragen nach ihren Bedürfnissen und wirklichen Interessen blieben zunächst ohne Echo. Diese Situation setzte sich fort bis zur ersten Gesprächspause. Die MediatorInnen empfahlen beiden Frauen einen Spaziergang allein in der Mittagspause. Als Aufgabe für die Pause baten sie die Parteien eine Liste von mindestens zehn Qualitäten zu erstellen, die sie an sich selbst schätzten und sich zu überlegen, welche Qualitäten der Gegenseite sie in der Vergangenheit zur Zusammenarbeit bewogen hatten. Nach der Pause wurde erst einmal diese Hausaufgabe abgefragt. Sie erwies sich als geeignetes Mittel um die düstere Eigen- und Fremdwahrnehmung aufzulockern.

Bei der Fortsetzung des Gesprächs gelang es durch Einschaltung der Reflexionsebene die Parteien zu bewegen ihre Einstellungen und die Konsequenzen für den weiteren Verlauf von außen zu betrachten. Die MediatorInnen eröffneten die Reflexionsebene indem sie sich vor den Augen und Ohren der beiden Konfliktparteien über das Gehörte unterhielten und ihre Gefühle der Ausweglosigkeit beschrieben. Dies half den Parteien, selbst über ihren Konflikt zu reflektieren und sich auch den eigenen Gefühlen zu öffnen.

 

Wendepunkt

 

Das Gespräch nahm die entscheidende Wende, nachdem beide Frauen bereit waren, einander ihre gegenwärtigen Gefühle über ihr damaliges Erleben mitzuteilten.

Beate schilderte ihre tiefe Enttäuschung. Sie habe sich umfassend vorbereitet, um den Kurs im Sinne Annas durchzuführen und zum Schluß ein überwältigend positives Feedback und großzügiges Geschenk erhalten.Und dann aus heiterem Himmel eine fristlose Kündigung statt des erwarteten Dankesbriefs. Ihre Bedürfnisse nach Anerkennung ihres Einsatzes, Verbundenheit in Freundschaft und Wertschätzung ihrer Kompetenz waren vollständig unerfüllt. In diesem Augenblick sei sie sich auch ihrer Irritation über ein unangemessenes Kontrolliertwerden und damit ihrem Bedürfnis nach Autonomie bewußt geworden.

Anna räumte Gefühle von Neid, Eifersucht und Ausgeschlossensein ein. Sie hatte es kaum ertragen können, daß Beate die von Anna lange betreuten TeilnehmerInnen dermaßen für sich gewinnen konnte. Sie empfand sich usgehebelt. Als sie dann noch von Beates Programmen und ihrem neuen Zentrum hörte, und darüber nachdachte, wie das von ihr in Jahren erarbeitete Kursmaterial möglicherweise mißbraucht werden könnte, da überkam sie eine tiefe existentielle Angst. Als dann noch Charly im Kurs auftrat, fühlte sie sich vollends übergangen. Ihre Bedürfnisse nach Wertschätzung ihrer Vorbereitungen, nach Einbezogensein in das Kursgeschehen, nach Kontakt zu den KursteilnehmerInnen und zu Beate, nach Sicherheit sowie auch Solidarität im Hinblick auf ihre neue Mutterrolle traten mit Hilfe der MediatorInnen ins Bewußtsein und berührten beide.

Nachdem beide Frauen einander diese Gefühle und Bedürfnisse gezeigt hatten und damit durch das einfühlsame Nachfragen der Mediatorin sich angenommen sahen, war die Zeit für eine weitere Unterbrechung gekommen. Wir forderten die Klientinnen auf, in der Pause einmal ohne Vorzensur durch das Realitätsprinzip ihre Wünsche zu formulieren. Nach der Pause forderten wir sie auf, die Wünsche aneinander zu sagen. Wir notierten mit. Diese Wunschliste wurde zum Ausgangspunkt der Abschlußvereinbarung. Dabei wurden gerade diejenigen Wünsche die mit Kommentaren wie,"das wird ja doch nicht gehen!" oder "das ist wohl zu utopisch!" zur Drehscheibe einer neuen Kooperation.

Die Gefühle beider Frauen bei Abschluß der Mediation waren: Erleichterung, Zufriedenheit, Dankbarkeit und das Empfinden, in einem Marathon gute Arbeit geleistet zu haben. Beide Frauen fielen sich am Ende der Mediation in die Arme. Seit zwei Jahren haben sie ihre Zusammenarbeit, gegenseitige Unterstützung und Kooperation fortgesetzt.

Mediationsvereinbarung - Konsens
  1. Anna gibt innerhalb von Beates Ausbildungszentrum in Aachen an einem Wochenende 4 halbtägige Einführungen in ihre Beratungsmethode ohne Honorar; Fahrtkosten werden erstattet.
  2. Anna gibt ein Wochenende über ihre Beratungsmethode in Aachen; Beate organisiert den Kurs. Anna erhält als Honorar die Teilnahme-Gebühr abzüglich von 20% Organisationskosten.
  3. In einem der von Anna herausgegebenen Rundbriefe erscheint ein Hinweis auf den neuen Ausbildungsgang bei Beate zusammen mit einem Artikel von Beate, in dem die Qualitäten und Schwerpunkte des Kurses beschrieben werden.
  4. Zum Ausprobieren: Anna teilt den Teilnehmern auf der Warteliste vom Oktoberkurs mit, daß Beate in Aachen einen ähnlichen Kurs durchführt, in dem noch Plätze frei sind.
  5. Im gemeinsamen Fortbildungsprogramm wird ein Kurs "Beratung und Träume" aufgenommen, der in Aachen oder in Bremen stattfindet.
  6. Anna vermittelt für Beate den Kontakt zu einer ihr bekannten Frauenbildungsstätte.
  7. Anna trägt die Rücktrittskosten der abgereisten Teilnehmerin (rund 1.000 DM).
  8. Anna übernimmt die Kosten für die Mediation.
  9. Beate trägt ihre Reisekosten und Auslagen zum Mediationsort.
  10. Die Mediation wird bei erneutem Streit wieder aufgenommen.

Beide unterzeichnen die Vereinbarung.

Anna hatte zwischenzeitlich den 2. Kursabschnitt allein durchgeführt. Beide Frauen waren sich einig, daß Anna auch den 3. Kurs allein abhalten und Beate kein entgangenes Honorar verlangen würde. Trotzdem verzichteten sie insoweit auf eine juristische Klarstellung (z. B. Aufhebungsvertrag, "damit sind alle übrigen Ansprüche der Parteien gegeneinander erledigt") wie sie in gerichtlichen und außergerichtlichen Vergleichsprotokollen üblich sind. Angesichts des Konsenses war dies nicht nötig, weil keine Motivation bestand, unklare Formulierungen nachträglich juristisch auszuschlachten.

Die Ergebnisse der Mediation:

Sachliche Ebene:
  • Ermutigung zur Selbstbehauptung und Einfühlung
  • niedrige Verfahrenskosten (hier 600,- DM)
  • Fairneß der Klientinnen
  • unbürokratisches und effektives Verfahren
Emotionale Ebene:
  • Transformation der "destruktiven" Gefühle in
  • beiderseitige Zufriedenheit und
    Dankbarkeit
  • Erneuerung der persönlichen Beziehung
  • Wandlung von Gegnerschaft in Freundschaft
  • Bestärkung der eigenen Kompetenz
    und Kreativität
  • gegenseitige Aufwertung
Energetische Ebene:
  • der Lösungsprozeß ist intensiv und berührend
  • die Bearbeitung des Konflikts folgt ohne Aufschub direkt der Dynamik von Gefühlen, Bedürfnissen und Zielen folgend
  • Erfüllung der Interessen beider Klientinnen

 

Als besonders wirksam erwiesen sich folgende Interventionen:

  • Fragen nach den Grundlagen der früheren Zusammen arbeit, die zur gegenseitigen Aufwertung führten
  • Aufrechterhaltung des geistigen Raums für eine gemeinsame Lösung in den Momenten, als die Partei en dies ausschlossen
  • wertschätzende Zwischenzusammenfassungen Aufgaben mit denen die Parteien zwischen den Gesprächsphasen in einem Kontakt mit ihren beider seitigen Bedürfnissen und Zielen gehalten wurden
  • Einschalten der Reflexionsebene
  • Eingehen auf ungeklärte Emotionen
  • Würdigung der Bedürfnisse
  • Ermutigung nach ungewöhnlichen Lösungen zu suchen

Wie der Vergleich der Ergebnisse zeigt, eröffnet das klientenzentrierte Vorgehen einen weit über das anspruchorientierte Vorgehen hinausgehenden Lösungshorizont. Das Ziel gegenseitiger Zufriedenheit konnte erreicht werden.